Rasch steigende Energie- und Warenpreise und die anhaltende Inflation bewegen europäische Verbraucher zu einem grundlegenden Wandel in ihrem Kaufverhalten. Sie erwarten einen signifikanten Anstieg der Lebenshaltungskosten und sparen an kleineren Ausgaben, die für überflüssig erachtet werden
Wie übersteht man die Krise?
Wie erkennt man eine Krise? Wirtschaftswissenschaftler:innen haben viele Modelle dafür. Aber der wichtigste Indikator ist die Kauflaune der Menschen. Fühlen sie sich gut und nicht unter Druck gesetzt, kaufen die meisten Menschen mehr Waren und nehmen häufiger Dienstleistungen in Anspruch. Genau das änderte sich nun in den letzten Wochen.
Bereits beim Übergang von Frühling zu Sommer kam es zu einem unerwarteten Umsatzrückgang im europäischen Einzelhandel, obwohl viele Expert:innen glaubten, dass es nach den pandemischen Einschränkungen endlich zu einem Wachstum kommen würde. In Österreich sanken die Einzelhandelsumsätze bereits im Mai um 2,7 Prozent. Das Gleiche passierte auch in den Nachbarländern. In Deutschland sanken die Einzelhandelsumsätze um 1,6 und in Italien um 1,1 %.
Der Grund dafür? Inflation und wachsende Besorgnis über die Energiepreise im Herbst. Dazu muss man wissen, dass die Energiepreise zu Beginn des Sommers maximal halb so hoch waren wie heute. Die Situation wird sich eher noch verschlechtern. Vor allem im E-Commerce-Segment sind deutliche Rückgänge zu verzeichnen. Nach dem Boom während der Pandemie haben die Menschen aufgehört, E-Shops für regelmäßige Einkäufe zu nutzen. Aber auch der Absatz von Kleidung und Schuhen, Computertechnik und Haushaltsgeräten geht zurück. "Die Menschen reagieren empfindlich auf den Preis einiger Warengruppen, was viele Verkäufer:innen aber nicht erkannt haben oder den Preis unverhältnismäßig erhöht haben. Besonders große Ketten bleiben auf Produkten mit stark gestiegenen Preisen sitzen und stecken diese dann kurze Zeit später schon wieder in den Abverkauf.", sagte der ehemalige Ökonom Weltbank Jana Mates.
Wer muss sich fürchten?
Und an welchen Gütern werden die Menschen am ehesten das Interesse verlieren, wenn die Preise dramatisch steigen? Nach Ansicht von Wirtschaftswissenschaftlern wird die Verbraucherpsychologie zum Tragen kommen, und sie werden sich hauptsächlich auf notwendige Ausgaben konzentrieren. "Im Wesentlichen werden Rechnungen für den Haushalt, für den Transport zur Arbeit oder zur Schule bezahlt. Ausgaben für Restaurants, Unterhaltung und Kultur, d. h. Kino- oder Theaterbesuche, werden in der Regel als überflüssige Kosten eingestuft", sagt Ondrej Stribrsky, Ökonom bei Global Payments.
Aber auch der Wunsch, den Spritverbrauch zu senken, ist zu beobachten. So planen beispielsweise schon einige Universitäten die Wiedereinführung des Fernunterrichts und einige Unternehmen werden das Home-Office wieder forcieren. Auch das bevorstehende Weihnachtsfest wird wahrscheinlich nicht viel an der negativen Situation ändern. "Das diesjährige Weihnachtsfest wird das teuerste in der Geschichte und gleichzeitig das ärmste der letzten Jahre sein. Strom- und Gasrechnungen werden anstelle von Geschenken bezahlt", sagt der Ökonom Lukas Kovanda. Für die Händler:innen wird der vorweihnachtliche Markt dieses Jahr besonders kompliziert. Es kann durchaus passieren, dass die Menschen kein Interesse an den Waren haben und die Verkäufer:innen statt der erwarteten Weihnachtserträge echte Probleme mit unverkauften Beständen haben werden.
Fragen und Antworten
Warum sparen die Menschen beim Einkaufen?
Aufgrund des anhaltenden Krieges in der Ukraine und der steigenden Energiepreise verspüren die Menschen ein hohes Maß an Unsicherheit und beginnen, an unnötigen Ausgaben zu sparen. Vor allem bei den Waren, deren Preise rapide ansteigen.
Wird das Weihnachtsfest die Situation ändern?
Expert:innen halten dies für unwahrscheinlich. Die Energiepreise werden weiter steigen, und auch die Heizperiode wird beginnen. Die obligatorischen Haushaltsausgaben werden wahrscheinlich noch weiter steigen. Der Druck, an anderer Stelle zu sparen, vielleicht sogar bei den Geschenken, wird noch weiter zunehmen.
Was können die Händler:innen tun?
Die Situation erinnert an klassische Krisen, in denen die Menschen ihre Ausgaben einstellen. In solchen Zeiten gibt es eigentlich nur zwei Ansätze: Erwartungen anpassen – mit eher geringeren Umsätzen rechnen und die Menge der gelagerten Waren entsprechend anzupassen, mit kluger Lagerplanung können Kosten gespart werden. Der umgekehrte Weg ist die Verstärkung der Werbe- und Marketingaktivitäten – dieser Ansatz ist der riskante Weg, da vorher noch zusätzlich Geld investiert werden muss, bringt allerdings auch Chancen.
Wann wird sich die Lage ändern?
Es ist äußerst unwahrscheinlich, dass sich die Situation vor Ende dieses Jahres ändert. Die Energiepreise werden an den Börsen für Monate im Voraus verkauft, so dass der Preisanstieg wahrscheinlich nicht einfach so enden wird. Ein wichtiger Faktor sind die Dauer des Krieges in der Ukraine und die Geschäftspraktiken der Russischen Föderation, die zu einem Anstieg der Gas- und Strompreise führen. Gleichzeitig wird sich die Inflation ab den Herbstmonaten aufgrund der höheren Vergleichsbasis des letzten Jahres optisch abschwächen (im Oktober und November letzten Jahres begannen die Preise massiv zu steigen, so dass die Inflation im Jahresvergleich in diesen Monaten nicht mehr so hoch sein wird).